01. Mrz. 2025
Es ist ein Freitagnachmittag, als sich die Mitglieder der Geretsrieder Urzelzunft in der Halle von Peter Wagners Metallbaufirma versammeln. Die Luft ist erfüllt von vertrauten Stimmen, herzhaftem
Lachen und dem würzigen Duft von Sauerkraut und Gewürzen. Es ist die Nacht vor dem großen Urzelkrautessen, und wie es seit Jahren Tradition ist, geschieht die Vorbereitung in gemeinsamer Arbeit, ein
Zusammenspiel von Fleiß, Geschick und einem tiefen Gefühl der Verbundenheit.
14 Frauen und 11 Männer stehen an den Arbeitstischen. Vor ihnen liegen unzählige Krautköpfe, die Peter Wagner nach altbewährter Methode und nach den Überlieferungen seines Vaters in großen Fässern
eingelegt hat. Der Geruch des Sauerkrauts erinnert viele an die Heimat, an Vorratskammern voller Fässer, an Winterabende, an die Kunst, mit einfachen Zutaten etwas Besonderes zu schaffen.
Während die Männer mit kräftigen Händen das Hackfleisch kneten, formen die Frauen mit geübtem Griff gleichmäßige Fleischbällchen und wickeln sie in die weichen, säuerlichen Krautblätter. Die Abläufe
sind so perfekt eingespielt, dass es fast wie in einer alten Manufaktur aussieht. Ein präzises Handwerk, bei dem jeder Handgriff sitzt. Manchmal fliegt ein Fleischbällchen durch die Luft, wird
geschickt aufgefangen und sofort weiterverarbeitet. Daneben wird mit einem Küchenroboter das Kraut gehobelt, das später mit geräuchertem Schweinebauch und den Wickeln in großen, mit Schmalz
eingeriebenen Töpfen geschichtet wird.
Ein gutes Urzelkraut braucht Zeit. Stundenlang wird es köcheln, durchzogen von Rauch- und Gewürzaromen, bis es die perfekte Konsistenz und seinen unvergleichlichen Geschmack erreicht.
Diese Zeit wird sich der Zunftmeister in der Nacht vor dem Fest dann nehmen um mit ruhigem Blick, jahrelanger Erfahrung und der unerschütterlichen Geduld, die man braucht, wenn man eine Tradition
weiterträgt, das Köcheln zu beobachten.
Ob es an der Werkstattatmosphäre lag oder einfach an der guten Laune, die Arbeit lief wie am Schnürchen. Keiner stand herum, kein Handgriff war umsonst. Und doch war es kein bloßes Schaffen, sondern
ein Miteinander, ein Austausch, ein Lachen und Erzählen, das einen zurückversetzte in frühere Zeiten.
„So war es früher in Siebenbürgen auch“, hört man immer wieder, wenn Erinnerungen an Familienfeste und Hochzeiten aufkommen, bei denen die Frauen in der Küche werkelten und die Männer das Fleisch
zubereiteten. Genau dieser Geist lebt hier weiter, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen alter und neuer Heimat.
Da die Zeit drängte, gönnte man sich nur eine kurze Brotzeitpause, vorbereitet von ein paar fleißigen Helfern, die zwischendurch noch für eine Stärkung sorgten. Dann ging es weiter, bis spät am
Abend, bis alle 670 Krautwickel sorgfältig geschichtet waren, um am nächsten Tag die Gäste zu begeistern.
Das Rezept der Krautwickel mag wohl bekannt sein, doch was die Geretsrieder Urzeln daraus machen, ist einzigartig. Vielleicht ist es eine geheime Zutat, vielleicht der besondere Räuchergeschmack des
Schweinebauchs, vielleicht die Tatsache, dass das Kraut in jahrzehntealter Tradition eingelegt wurde. Doch vielleicht, und das ist das Wahrscheinlichste, ist es der Geist der Gemeinschaft, der dieses
Urzelkraut so besonders macht.
Denn ein echtes Urzelkraut ist mehr als nur ein Gericht. Es ist ein Stück Heimat, das durch viele Hände geht und am Ende alle verbindet.
So kamen in diesem Jahr rund 250 Gäste in der Ratstuben Geretsried zusammen, um das mittlerweile zur festen Institution gewordene Urzelkrautessen zu feiern. Dieses hat sich zur großen Freude der
Organisatoren Kerstin und Peter Wagner mit ihren Kindern, sowie Hilde und Michael Hann, längst zu einer Tradition innerhalb der Tradition entwickelt, eine Ergänzung zum farbenfrohen Urzelbrauch, die
von Jahr zu Jahr mehr Zuspruch erfährt.
Die Organisatoren zusammen mit allen Urzeln in Geretsried dürfen stolz darauf sein, dass sie mit ihrem Festessen die Gemeinschaft stärken und den Zusammenhalt unter den Siebenbürger Sachsen in
Geretsried und darüber hinaus fördern.
Roland Widmann